"Und nun, da wir die Illusion der Trennung als Wurzel
jedes Verlangens durchschaut haben, können wir noch tiefer blicken – bis
dorthin, wo die wahre Natur des Begehrens sich langsam enthüllt. Denn
bevor Sucht gefährlich wird, bevor sie zwanghaft wird, ist sie
ursprünglich heilige Energie – die Bewegung des Lebens selbst. Erst wenn
das Begehren vergisst, woher es kommt, wird es zu endlosem Hunger.
Von
all den Dingen, die den Menschen verwirren, mag das Begehren das
Seltsamste sein. Es ist zugleich die Tür zum Leben – und die feinste
Falle, in die der Verstand je getreten ist. Es ist wunderschön,
kraftvoll, schöpferisch. Doch sobald wir seine Quelle vergessen, wird es
zu einem Hunger ohne Ende.
Lass es mich sanft sagen: Begehren ist nicht falsch. Begehren, das seinen Weg verloren hat – das ist Sucht.
Stell
dir das Begehren als einen Bach vor. Ein Bach ist von Natur aus rein.
Alles, was er will, ist, zurück ins Meer zu fließen – denn das Meer ist
sein Zuhause. Doch wenn du entlang seines Laufs Dämme errichtest, wenn
du versuchst, das Wasser festzuhalten, wenn du darauf beharrst, der Bach
existiere nur, um deinen kleinen privaten Teich zu füllen, wird das
Wasser stehend, trüb, faulig – nicht, weil der Bach schlecht ist,
sondern weil du vergessen hast, dass er zum Meer gehört.
Dein
Begehren ist genauso. Es ist die natürliche Bewegung des Lebens, das
sich nach mehr Leben sehnt. Wir begehren, weil wir uns lebendiger fühlen
wollen. Doch in unserem Vergessen beginnen wir falsch zu benennen: Wir
glauben, wir begehren das Getränk. Wir glauben, wir begehren Lust. Wir
glauben, wir brauchen einen anderen Menschen, um unsere Leere zu füllen.
Wir glauben, wir könnten ohne eine bestimmte Erfahrung oder ein
bestimmtes Objekt nicht leben.
In Wahrheit sehnen wir uns niemals nach dem Objekt. Was wir sehnen, ist stets der Zustand:
Nicht das Glas Wein – sondern die Auflösung.
Nicht die Lust – sondern der Moment ohne Grenzen.
Nicht die Person – sondern die bedingungslose Verschmelzung.
Nicht der Erfolg – sondern das Gefühl der Ganzheit.
Und
hier liegt das Paradoxon: Je fester wir am Objekt festhalten, desto
weiter entfernen wir uns vom Kern unseres Begehrens. Je lockerer wir das
Objekt halten, desto mehr kann dieser Kern uns nach Hause führen.
Du bist nicht süchtig nach Alkohol. Du bist süchtig nach dem Gefühl von Lebendigkeit, das der Alkohol zufällig enthüllt.
Du bist nicht süchtig nach Liebe. Du bist süchtig nach jenem erweiterten, schmelzenden Zustand, den die Liebe in dir erwacht.
Du
bist nicht süchtig nach Musik, Adrenalin oder Spielen. Du bist süchtig
nach dem Leben, das durch dich hindurchströmt, sobald du dich diesen
Dingen hingibst.
Alles, was dich deiner Meinung nach anzieht, ist nichts anderes als eine
Tür. Doch wie die meisten von uns verwechselst du die Tür mit
dem, was jenseits liegt. Hier beginnt jede Tragödie des Begehrens: im
Moment, da wir das Begehren von seiner heiligen Quelle abschneiden, wird
es zu endlosem Hunger. Je mehr wir haben, desto mehr fühlen wir Mangel.
Je mehr wir berühren, desto mehr vermissen wir. Je mehr wir besitzen,
desto verlorener werden wir.
Nicht, weil Begehren sündig wäre – sondern weil es seinen Weg nach Hause vergessen hat.
Nun
gibt es eine Vorstellung, die den Ohren völlig fremd klingt. Doch wenn
du mit dem Herzen zuhörst – mit jenem stillen Raum zwischen zwei
Atemzügen –, wird sie zu einer der zärtlichsten Wahrheiten:
Sucht ist nicht einfach ein Mensch, der nach Lust sucht.
Sucht ist das Unendliche, das versucht, sich selbst zu erinnern – verkleidet als menschliches Leben.
Ja, es klingt ungeheuerlich – doch schau noch einmal hin:
Stell
dir vor, Gott – oder das Unendliche, das Ganze, wie auch immer du es
nennen magst – möchte sich selbst erfahren. Wie könnte das Unendliche
wissen, dass es unendlich ist, wenn es nicht versuchte, etwas sehr
Kleines zu sein? Wie könnte das Meer seine Weite erkennen, wenn es nicht
einmal ein einzelner Tropfen auf einem Blatt wäre?
Und so zieht
das Unendliche ein Kostüm an – dich. Es trägt deinen Körper. Es trägt
deinen Verstand. Es trägt deine Grenzen, Ängste, Sehnsüchte – sogar
deine ungeschickten Gewohnheiten. In diesem großen Spiel vergisst es,
wer es ist. Deshalb fühlst du manchmal, als suchtest du nach etwas
Uraltem, Vertrautem, Intimem – das du dennoch nicht benennen kannst. Wie
ein Schauspieler, der so tief in seine Rolle eingetaucht ist, dass er
ganz vergisst, dass er spielt.
Und hier tritt die Sucht in die
Geschichte ein: Jedes Mal, wenn du dich im Trinken, in der Lust, im
Adrenalin, in wilder Liebe oder explosiver Musik verlierst – für ein
paar Sekunden verschwindet das falsche „Ich“. Du kennst diesen Moment,
nicht wahr? Jener Augenblick, in dem du nicht länger derjenige bist, der
versucht zu leben – sondern einfach das Leben selbst. Nicht länger der
Schauspieler – sondern die Musik, die sich selbst spielt.
In
diesem Augenblick erinnert sich das Unendliche wieder an sich selbst. Es
flüstert: „Ah ja, das bin ich: Freiheit. Grenzenlosigkeit. Reines
Entstehen.“
Dann kehrt die Rolle zurück. Der Name. Die
Erinnerungen. Die Wunden. Die Geschichte. Und du vergisst erneut. Also
suchst du wieder – in Alkohol, Lust, Erfahrungen – nach jenem Schluck
des Selbstvergessens. Nicht, weil du schlecht bist. Nicht, weil du
schwach bist. Sondern weil dies die Erinnerung des Unendlichen ist, die
in dir aufsteigt – wie eine Melodie aus weiter Ferne – und du rennst
ihrem Klang entgegen.
Statt also zu sagen: „Oh, ich habe versagt.
Ich bin süchtig. Ich bin kaputt“, betrachte es vielleicht aus einem
anderen Winkel: Vielleicht suchst nicht du nach dem Drink. Vielleicht
sucht das Unendliche durch dich hindurch nach sich selbst.
Wenn
dem so ist, dann ist jede Sucht, jedes Verlangen, jeder Fehltritt Teil
eines heiligen Spiels – des Spiels, in dem Gott sich verliert und sich
dann wiederfindet.
Hast du bemerkt, dass es zwei Arten von
Menschen gibt, die an scheinbar entgegengesetzten Enden der Welt stehen –
und sich heimlich sehr nahe sind?
Der eine trägt ein schlichtes Gewand, besteigt einen stillen Berg und sitzt in Schweigen.
Der andere sitzt in der dunklen Spelunke am Ende der Straße, ein Glas in der Hand, in die Ferne blickend.
An
der Oberfläche meint man, sie könnten unterschiedlicher nicht sein.
Doch wenn du tief genug hinhörst, vernimmst du in beiden denselben
Herzschlag: die Sehnsucht, das Selbst aufzulösen.
Schau den Mönch
an: Er geht nicht auf den Berg, um ein besserer Mensch zu werden. Er
geht hin, um niemand zu sein. Er meditiert, um zu sehen, dass das
Selbst, das er sein ganzes Leben lang verteidigt hat, nichts weiter als
ein Hauch ist. Durch Atem und Hingabe öffnet er sich in einen weiten
Himmel, wo er nicht länger im engen Käfig des Egos gefangen ist.
Und
der Süchtige – glaubst du wirklich, er suche nur nach Vergnügen? Nein.
Auch er sucht nach Auflösung. Nach dieser einen Sekunde, in der
Vergangenheit, Zukunft, Angst, Stolz, Identität und Verantwortung alle
miteinander auf den Grund des Glases sinken.
Nach einem winzigen Moment, in dem er nicht „ich“ ist.
Nach einem Moment, in dem er die Last eines Lebens nicht mehr trägt.
Nach einem Moment, leicht wie eine Wolke.
Zwei
Menschen – einer in einer stillen Halle, einer in einer lauten Bar –
beide auf der Suche nach einem Ausweg aus dem engen Gefängnis des
Selbst.
Doch hier liegt das schöne Paradoxon zwischen ihnen:
Der Mönch löst sich ins Unendliche auf, indem er nichts festhält.
Der Süchtige versucht, sich ins Unendliche aufzulösen, indem er sich verzweifelt an etwas Endliches klammert.
Der Mönch lässt los. Der Süchtige hält fester.
Der Mönch tritt zurück und lässt das Ego schmelzen.
Der Süchtige stürzt vorwärts, um fließendes Wasser zu greifen.
Der Mönch weiß: Das Unendliche kann nicht besessen werden.
Der Süchtige glaubt: Die Unendlichkeit passt in eine Flasche.
Siehst
du? Der Süchtige irrt nicht völlig. Er blickt lediglich in die richtige
Richtung – und geht den falschen Weg. Wie jemand, der aufs Dach
klettert, um dem Himmel näher zu sein – ohne zu merken, dass der Himmel
so nah ist wie sein nächster Atemzug.
Und hier liegt das tiefste
Paradoxon: Je mehr wir versuchen, das Unendliche in etwas Endlichem zu
ergreifen, desto stärker fühlen wir Mangel. Je mehr die Hand sich
lockert, desto mehr kehrt Fülle zurück.
Der Mönch und der
Süchtige – der eine wählt den Weg nach oben, der andere den Weg nach
unten. Doch beide bewegen sich auf dasselbe Zentrum zu – dorthin, wo das
Selbst wie Eis im Sonnenlicht dahinschmilzt.
Und wenn die
Trunkenheit verblasst, wenn die Flasche leer ist, wenn die Lust abebbt,
fällt der Süchtige in ein schweres Schweigen – ein Schweigen, das er als
Versagen bezeichnet. Doch genau in diesem Moment, da alles Festhalten
aufhört, beginnt etwas Heiliges zu sprechen.
Hast du bemerkt,
dass jede Trunkenheit im Schweigen endet? Nicht im sanften Schweigen der
Morgendämmerung, sondern in einem Schweigen wie ein Stein in der Brust.
Eine Stille, die viele Verzweiflung nennen.
Glaube diesem
Etikett nicht zu schnell. Schau noch einmal hin – mit den Augen der
Meditation, mit ein wenig Humor, als würde das Leben einen Streich
spielen – und gleichzeitig ein Geschenk anbieten.
Wenn die Lust
vergeht, wenn das letzte Glas leer ist, wenn die Musik verstummt, wenn
der Geliebte geht, wenn der Rausch, der dich einst fliegen ließ, sich
wie Nebel auflöst – bleibt nicht Versagen zurück. Es bleibt Offenbarung.
Auf
dem Gipfel der Lust ist dein Geist zu laut, zu hell, zu bewegt. Das
Unendliche kann durch diesen Lärm nicht hindurchschlüpfen. Es kann nicht
sprechen, solange du berauscht, festhaltend, fliehend bist. Erst wenn
der Lärm sich verzehrt hat, wenn das Selbst erschöpft niedersinkt, wenn
nichts mehr übrig ist, woran du dich festhalten könntest – nur dann, in
jenem Schweigen, das fast grausam wirkt, erscheint ein winziges
Flüstern:
„Das ist es nicht – aber du bist sehr nah.“
Siehst du das Paradoxon? Es ist wunderschön.
Die Lust ist niemals die Botschaft.
Das Schweigen nach der Lust ist die Botschaft.
Wir
glauben, wir hätten versagt, sobald der Nervenkitzel schwindet. Doch
genau in diesem Moment, wenn die Lichter ausgehen, hört die Seele, was
wirklich zählt.
Deshalb wachen so viele Menschen erst nach
Nächten der Leere auf – nach dem Kater, nach dem Starren an die Decke,
nach dem Zusammenbruch der Beziehung, nachdem alles, was sie einst
fliegen ließ, zu Staub zerfiel. Wenn der Lärm, der dich ertränkte,
endlich verstummt, hörst du endlich deine eigene Stimme – nicht die des
kleinen Selbst, sondern jenes tiefen, leuchtenden Teils in dir.
Und
diese schwere Leere – wenn du den Kopf nur leicht neigst – ist kein
schwarzes Loch der Verzweiflung, sondern die Tür zum Neubeginn.
Stell
dir vor, du befindest dich in einem Raum mit lauter Musik. Du kannst
niemanden hören, der deinen Namen ruft. Wenn die Musik verstummt, fühlt
sich das Schweigen unangenehm an – doch genau in diesem Moment hörst du
endlich den Ruf.
Diese Leere sagt: „Klammere dich nicht länger
daran. Was du suchst, liegt nicht im Gefühl. Was du suchst, liegt in der
Stille. Du bist sehr nah – näher, als du denkst.“
Es gibt eine
Sache, die wir Menschen ständig missverstehen – und deshalb leiden wir
doppelt so viel, wie nötig wäre. Wir behandeln Leiden als Urteil, als
Strafe, als Beweis dafür, dass etwas mit uns nicht stimmt. Doch wenn du
dich einen Moment hinsetzt, langsam atmest und direkt in das Wesen des
Schmerzes blickst, entdeckst du ein Paradoxon, das ebenso schön wie
heilig ist:
Leiden ist nicht der Feind.
Leiden ist das Einweihungsritual der Seele.
Denk
an einen Samen. Von außen wirkt er trocken, hart, geschlossen, tot.
Doch um zum Baum zu werden, muss er etwas zutiefst Schockierendes tun:
Er muss aufbrechen. Ohne diesen Bruch gibt es kein Wachstum.
Menschen
sind genauso. Das Selbst, an das du dich klammerst – die Rolle, die
Identität, die Wunden, die Gewohnheiten, die Geschichte – ist nichts
anderes als die Schale. Sie muss brechen. Sie muss aufreißen. Das Leiden
tut genau das. Es zerstört nicht dich – es zerstört das Falsche in dir.
Blicke
zurück auf die Erdbeben deines Lebens: die Trennungen, die Leere, die
Nächte, in denen du wachlagst, ohne Halt. Die Morgen, an denen es dir
vorkam, als hätte die Welt einen wesentlichen Frieden verloren. Wir
nennen diese Dinge Entzug, Zusammenbruch, Verlust. Doch durch die Augen
der Meditation siehst du etwas anderes: Jeder Zusammenbruch ist eine wilde Form der Gnade.
Er verbrennt das Falsche, damit das Wahre Raum zum Wachsen hat – wie
ein Feuer, das durch einen Wald fegt. Es sieht wie Zerstörung aus – doch
nur so kann neues Leben Wurzeln schlagen.
Wir leiden nicht, weil
das Leben uns hasst. Wir leiden, weil die Seele wächst – und die alte
Schale sie nicht länger fassen kann.
Hier liegt die feinste
Wahrheit: Schmerz wird erst zur Hölle, wenn wir ihn bekämpfen – wenn wir
uns gegen das Aufbrechen wehren, wenn wir an dem festhalten, dessen
Zeit gekommen ist zu gehen. Doch wenn du auch nur leicht zurücktrittst
und Leiden als einen seltsamen, hingebungsvollen Lehrer erkennst, merkst
du: Es führt dich näher – näher zur Wahrheit, näher zu deinem wahren
Selbst, näher zu dem Leben, das schon immer durch dich hindurchgeatmet
hat.
Und dann, wenn die Schale gebrochen ist, wenn die Asche des
Alten zu Boden gefallen ist, bemerkst du etwas: Sobald du die Botschaft
verstehst, beginnt die Sucht, ihre Macht zu verlieren. Denn Sucht lebt im Dunkeln – und Dunkelheit verschwindet, sobald du Licht einlässt.
Ich
sage es manchmal spielerisch: Sobald du die Botschaft erhalten hast,
lege den Hörer auf. Das Problem ist: Die meisten von uns halten das
Telefon weiter ans Ohr gepresst, warten auf mehr Zeichen, mehr Wunder,
mehr Anweisungen – obwohl das Gespräch längst beendet ist.
Sucht
hat nur Macht, solange wir ihre Botschaft noch nicht verstanden haben.
Sie wirkt stark – nicht, weil sie es ist, sondern weil wir an einem
gewaltigen Missverständnis festhalten: dass uns etwas fehlt, dass wir
kaputt sind, dass wir etwas außerhalb von uns brauchen, um ganz zu sein.
Dieser
Glaube – nicht der Alkohol, nicht die Lust, nicht das Adrenalin –
treibt den Kreislauf an. Sucht ist nur der Schatten. Das Licht, das den
Schatten wirft, ist das Missverständnis in uns.
Dann kommt eines
Tages – still, ohne Feuerwerk – der Moment, in dem du aufhörst zu
rennen. Du musst kein Heiliger sein, damit das geschieht. Es kann um 3
Uhr morgens geschehen, nachdem du dich leer geweint hast – oder nach
einem so intensiven Verlangen, dass es dich zittern lässt – oder
einfach, weil du zu erschöpft bist, um weiter gegen dich selbst zu
kämpfen.
In dieser Erschöpfung erscheint eine seltsame Einfachheit: „Ich war niemals kaputt.“
Keine Philosophie nötig. Keine Anstrengung. Keine Gelübde. Nur eine
kleine Erkenntnis: Du warst niemals wirklich vom Ganzen getrennt. Selbst
deine Fehler, Stolperer und langen Nächte der Wanderschaft haben dich
niemals aus dem großen Strom des Lebens herausgerissen.
Du bist wie eine Welle, die verzweifelt versucht, das Meer zu finden – während das Meer dein eigener Körper ist.
Und
sobald du das siehst, geschieht etwas Wunderbares: Der Mechanismus der
Sucht beginnt sich aufzulösen – nicht, weil du ihn besiegt hast, sondern
weil du ihn nicht länger ernährst. Du glaubst nicht länger, dass dir
etwas fehlt. Du glaubst nicht länger, dass du kaputt bist.
Wenn
dieser Glaube fällt, wird Sucht zu einem seltsamen Traum – einem
Albtraum voller Monster, die du einst für real hieltest. Beim Erwachen
lächelst du: „Ach, es war nur ein Traum – mein eigenes Licht hat ihn
geworfen.“
Du musst die Dunkelheit nicht vertreiben. Du schaltest einfach das Licht ein – und die Dunkelheit verschwindet von selbst.
In
diesem Erwachen öffnet sich eine weitere Tür – die Tür der Hingabe, der
Heimkehr. Die gleichen Impulse, die dich einst in die Sucht trieben,
werden nun zu Kräften, die dich ins Erwachen führen.
Du beginnst zu erkennen: Hinter jedem irrenden Verlangen liegt eine tiefe, uralte Heimweh nach dem Heiligen.
Wenn
du durch all die Schichten von Sehnsucht, Schmerz und Verwirrung
blickst – all das, was wir einst „Sucht“ nannten – und aufhörst, Sucht
als Feind zu sehen, sondern als Botschaft, als Spiegel, verändert sich
ihr Wesen. Sie ist nicht länger bloß Hunger. Sie wird zu einer Art
Hingabe.
Ein seltsamer Gedanke, nicht wahr? Lass es mich sanfter sagen:
Wenn wir das Begehren missverstehen, nennen wir es Sucht.
Wenn wir das Begehren verstehen, nennen wir es heilig.
Das
Problem war niemals das Wollen. Es war nur die Richtung des Wollens.
Denn wie du gesehen hast: Wir wollen nicht wirklich Alkohol, Lust oder
endloses Umherwandern. Wir wollen etwas Tieferes, Mächtigeres, unendlich
Heiligeres: Wir wollen zu unserer eigenen Wahrheit zurückkehren. Wir
wollen jenes weite, stille, leuchtende Bewusstsein wiederfinden – den
Ort, dem wir angehörten, lange bevor wir einen Namen hatten, ein Alter,
Geschichten.
Wenn du durch die tausend Schichten des Begehrens hindurchsiehst, entdeckst du etwas Schönes: Sucht ist lediglich fehlgeleitete Hingabe.
Was du für eine Opfergabe an den Drink hieltest, war in Wahrheit Hingabe an das Unendliche.
Was du für eine Opfergabe an die Lust hieltest, war dein Sehnen, dich vollständig lebendig zu fühlen.
Was du in einen anderen Menschen hineinlegtest, war uraltes Heimweh – die Sehnsucht nach dem, wo du wirklich herkommst.
Und
dann geschieht etwas Seltsames: Das Getränk glänzt nicht mehr wie
früher. Die Lust blendet nicht mehr wie einst. Der Drang zu fliehen ruft
deinen Namen nicht mehr mit derselben Stimme. Nicht, weil du versucht
hast, loszulassen – sondern weil du etwas so Wahres erkennst, dass es
den Drang zum Festhalten auflöst.
Du hast die Quelle niemals verlassen.
Wie ein Regentropfen, der erkennt, dass er das Meer niemals verlassen hat.
Wie eine Wolke, die erkennt, sie ist der Atem des Himmels.
Wie
eine Welle, die erkennt, sie ist kein separates Ding – sondern eine
vorübergehende Gestalt, die das Meer zum Vergnügen annimmt.
Und sobald du dich daran erinnerst – wirklich erinnerst,
ohne Anstrengung –, verändert sich die ganze Energie der Sucht. Sie
strömt nicht länger nach außen auf der Suche nach Objekten. Sie kehrt
nach innen. Sie schmilzt ins Bewusstsein. Sie wird zu Hingabe an die
Wahrheit, an die Stille, an den Atem, an die stille Intelligenz, die
jeden Moment durchdringt, an die Heiligkeit, die durch jede Bewegung des
Lebens widerhallt.
Das ist die heilige Heimkehr: nicht perfekt
zu werden, nicht besser zu werden, nicht die Vergangenheit auszulöschen –
sondern einfach zu erinnern, dass du niemals aus deinem eigenen Himmel gefallen bist.
Und
sobald diese Rückkehr beginnt, geschieht etwas Sanftes: Der Schmerz,
der dich einst in Verzweiflung stürzte, beginnt zu leuchten. Die Fehler,
die dich einst quälten, werden zu Fenstern. Die Zusammenbrüche, die
dich einst erschreckten, werden zu festem Boden.
Mein lieber
Freund, wenn wir den weiten Kreis durchschritten haben – vom Begehren
zur Verwirrung, zur Flucht, zur Trunkenheit, zur Verzweiflung, zum
Erwachen und schließlich zur Rückkehr – erkennen wir etwas sehr Zartes
und sehr Schönes:
Niemand ist jemals aus der Gnade gefallen.
Niemand hat jemals den Pfad verlassen.
Es gibt nur längere Wurzeln – und alle führen nach Hause.
Sucht
ist kein Makel in der Biografie der Seele. Sie ist ein seltsames
Kapitel, in dem das Leben Verstecken mit sich selbst spielt – ein
Kapitel, in dem das Unendliche das Kostüm des Leidens anzieht und dich
mit einer Stimme fragt, so klein, so zärtlich:
„Mein Kind, erinnerst du dich jetzt an mich?“
Und
jedes Mal, wenn du stolperst, jedes Mal, wenn du am falschen Ort
suchst, jedes Mal, wenn du glaubst, dich selbst verloren zu haben –
erklingt diese Frage am deutlichsten.
Sobald du das wirklich
siehst – nicht mit dem Verstand, sondern mit dem Herzen –, füllt eine
warme Stille deine Brust. Der innere Krieg endet. Es gibt kein kleines
Selbst mehr, das sich anstrengen muss, besser zu werden. Keinen Druck
mehr, sich selbst zu bezwingen. Keine Dunkelheit mehr, gegen die
gekämpft werden muss.
Denn du verstehst etwas wunderbar
Einfaches: Du warst niemals vom Ganzen getrennt. Niemals aus den Händen
des Lebens gefallen. Niemals ein einziges Stückchen unvollständig. Du
hattest es nur vergessen.
Und jetzt erinnerst du dich.
Und
sobald du dich erinnerst, verändert das Leben seine Farbe. Es ist kein
Problem mehr, das gelöst werden muss. Es wird zu Musik – zu einem Lied,
das du nicht Note für Note kontrollieren musst, dessen Rhythmus du nicht
erzwingen musst, dessen falsche Töne du nicht fürchten musst.
Denn
nun siehst du: Die richtigen Töne lassen das Lied erstrahlen. Die
falschen Töne machen das Lied wahr. Und beide zusammen bilden deine
Melodie.
Genau wie die Welle sich nicht formen muss – und doch das Meer schön bleibt.
Genau wie die Wolken nicht treiben müssen – und doch der Himmel poetisch bleibt.
Am
Ende erkennst du: Der Schmerz hat dich niemals wirklich vom Weg
abgebracht. Er war der lange, raue, gewundene Pfad, der dich zurück nach
Hause trug.
Heimat – nicht ein Ort, den du erreichst, sondern der Ort, in dem du bereits jetzt bist.
Heimat – die Stille, die diese Worte durch dich hindurch hört.
Heimat – das Unendliche, das diese Welt durch deine Augen sieht.
Bevor
ich schließe, möchte ich dir ein Bild hinterlassen – ein offenes Bild,
das du auf deine eigene Weise vervollständigen musst:
Stell dir
vor, du bist eine Welle, die weit gereist ist – kollidiert, aufgelöst,
aufgestiegen, gesunken. Und nun, im Rückblick auf deine Reise, erkennst
du: Du hast das Meer niemals verlassen. Du hast nur Formen gewechselt,
um zu entdecken, dass du schon immer Wasser warst.
Und nun möchte
ich dir nur eine einzige kleine Frage stellen – eine Frage, die sanft
weiterklingen soll, auch nachdem dieses Gespräch endet:
Wenn du niemals von zu Hause fortgegangen bist – wo ist dann all das, wonach du suchst, wirklich zu finden?" Fortsetzung folgt.
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