"Wohl, es mag das Todeszeichen einer Kultur sein, daß Lächerlichkeit
nicht mehr tötet, sondern als Lebenselixier wirkt. Aber so hält man eben
durch, solange das Irdische währt und bis die Nachlebenden die Welt
erkennen, auf die sie gekommen sind. Längst sonst und immer wieder müßte
man doch sehen, daß diese Typen, aus allem Minus erschaffen, sich
verbraucht haben; daß die Attrappen bersten, nicht tragfähig für die
Fülle eingeredeten Inhalts; daß das Nichts als Persönlichkeit nicht
weiter kann im Bewußtsein der satirischen Kontrolle; daß irgendetwas,
ein Rest von Natur, ein Quentchen Scham oder Intelligenz, Gliederpuppen
abhält, den oratorischen Plunder, der zum Kinderspott wurde, täglich wie
neu zu tragen. Doch es geschieht, daß das Unvorstellbare sich an jedem
Tag in ein Wirkliches verwandelt und in ein solches, das die Satire nur
als seinen Entwurf erscheinen läßt." (Karl Kraus - Vor der Walpurgisnacht)
"Die Mitwelt, die geduldet hat, daß die Dinge geschehen, die hier
aufgeschrieben sind, stelle das Recht, zu lachen, hinter die Pflicht, zu
weinen. Die unwahrscheinlichsten Taten, die hier gemeldet werden, sind
wirklich geschehen; ich habe gemalt, was sie nur taten. Die
unwahrscheinlichsten Gespräche, die hier geführt werden, sind wörtlich
gesprochen worden; die grellsten Erfindungen sind Zitate. Sätze, deren
Wahnwitz unverlierbar dem Ohr eingeschrieben ist, wachsen zur
Lebensmusik.
Leute, die unter der Menschheit gelebt und sie überlebt haben, sind als Täter und Sprecher einer Gegenwart, die nicht Fleisch, doch Blut, nicht Blut, doch Tinte hat, zu Schatten und Marionetten abgezogen und auf die Formel ihrer tätigen Wesenlosigkeit gebracht. Larven und Lemuren, Masken des tragischen Karnevals, haben lebende Namen, weil dies so sein muß und weil eben in dieser vom Zufall bedingten Zeitlichkeit nichts zufällig ist...
Dennoch muß ein so restloses Schuldbekenntnis, dieser Menschheit anzugehören, irgendwo willkommen und irgendeinmal von Nutzen sein." (Karl Kraus - Die letzten Tage der Menschheit)
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